sprachtaumel - oder die finanzkrise in aller munde

03.03.2009, 16:40 von Hans Spiegl

weil die finanzkrise alles entschuldigt …
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frl. emmis blog:

sprachtaumel
... oder die finanzkrise in alle munde.

schon bemerkt? es sind nur wenige wörter, ab und an fast unmerklich dazwischengeschoben, und doch ändern sie alles. auf die frage, wie es geht, erhält man antworten wie “gut – noch…” oder “alles okay. bis jetzt…”.

seit wochen beherrscht eine permanente vorläufigkeit den sprachlichen alltag, alles gilt nur noch auf zeit. gesagtes wird temporalisiert, in jeder eingeschränkten aussage schwingt die bange zukunft leise mit. unkonkret, aber dieses vielsagende ”...” am ende jedes satzes ist doch ständig zu hören.

so gerät die alltagssprache ebenso ins taumeln wie die reden der politischen elite oder der wirtschaftsmenschen – früher “entscheider” genannt. jede meinung, jedes versprechen hat nur noch eine halbwertszeit von 24 stunden. danach ist alles anders, alles neu. verlustsummen. kreditgarantien. arbeitsplätze. befindlichkeiten.

ja, die zeitlichen strukturen unterliegen einer veränderung, einer art beschleunigung. der mensch der gegenwart findet sich wieder in einer schier endlosen rutschpartie zwischen endlos vielen potentiellen lebensentwürfen, konsumangeboten, meinungen und die verfallszeit von sicherheiten wird immer kürzer. bisher konnte dem etwas positives abgewonnen werden: wo alles in bewegung ist, ist eben auch alles möglich. doch jetzt, in zeiten der krise, kennt die rutschpartie scheinbar nur eine richtung: steil abwärts. jedenfalls klingen die einschränkenden sätze so, als sei dies eine ausgemachte sache.

vielleicht wird aber im umkehrschluss eben unser sprechen eines tages auch das erste indiz für einen wandel sein. wenn sich jemand wieder traut zu sagen, “ja, mir geht es gut”, ohne dieses zweifelnde punkt-punkt-punkt hinterher zu schieben, könnte das ein hinweis auf den beginn neuer zeiten sein. warten wir also ab, wann das erste mal wieder jemand mutig genug ist, ein paar positive adjektive zu verwenden…

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sprachtaumel - oder die finanzkrise in aller munde

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